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Aktuelles


Geschrieben am 13. März 2022

Krieg in der Ukraine - Auswirkungen auf Ernährung & Landwirtschaft

Foto: Konstantin Stupak/ Canva

Was bedeutet die aktuelle Situation in der Ukraine für die Agrarwirtschaft auf deutscher, europäischer und globaler Ebene? Und welche Schlüsse können wir für unser Nahrungsmittelsystem daraus ziehen?

Die Ereignisse der letzten Wochen haben die Welt weiter auf den Kopf gestellt. Millionen Menschen sind auf der Flucht, mehrere tausend Zivilisten in der Ukraine haben ihr Leben verloren.

In Deutschland und Europa wird unterdessen nicht nur der außenpolitische Umgang mit der Situation diskutiert. Auch die Agrarwirtschaft ist in Bewegung. Wie schon beim Ausbruch der Corona-Pandemie werden die Auswirkungen internationaler Handelsstrukturen und Importabhängigkeiten sichtbar. Und wieder stellt sich die Frage der Versorgungssicherheit.

Stockende Rohstofflieferungen

Weizen & Mais

Die Ukraine und Russland umfassen zusammen etwa 30% des globalen Weizenexports. Mit 32 Millionen Hektar Ackerland bewirtschaftet die Ukraine eine Fläche, die etwa einem Drittel der Ackerfläche der gesamten EU entspricht. Sie gilt damit als „Kornkammer Europas“. Insbesondere Getreide und Öle stehen auf der Liste der Exportprodukte1.

Seit Kriegsbeginn steht die Ausfuhr aber weitgehend still: Etwa ein Viertel der ukrainischen Jahresproduktion an Mais und Weizen lagern in den Häfen des Landes, ohne Aussicht auf Weitertransport. Und auch die diesjährige Aussaat dürfte durch die andauernden Kriegshandlungen nur sehr eingeschränkt durchführbar sein2.

Dünger & Energie

Die ohnehin steigenden Preise für Gas und Öl haben sich in den letzten Wochen weiter drastisch erhöht. Was viele Unternehmen unterschiedlicher Branchen an ihre Grenzen bringt, wirkt sich auch im Agrarsektor an allen Stationen der Wertschöpfungskette aus – von der Erzeugung bis zum Transport der Lebensmittel.

Auch der Düngemarkt ist massiv betroffen, nicht zuletzt da er direkt mit den Preisen für fossile Energieträger zusammenhängt. Ein Großteil des in Europa verwendeten Stickstoffdüngers kommt aufgrund der energieintensiven Herstellung aus Russland und Belarus - die Länder verfügen über vergleichsweise günstige Energiequellen aus eigenen Erdgasvorkommen1. Schon in den Monaten vor Kriegsbeginn kam es bei Düngemitteln zu deutlichen Preissteigerungen, die sich jetzt weiter verschärfen4.

Versorgungsengpässe & steigende Lebensmittelpreise

Was bedeutet das - zusätzlich zu der katastrophalen Situation in der Ukraine - für die Importländer russischer und ukrainischer Lebensmittel und Rohstoffe? Besonders hart wird die Krise voraussichtlich die Länder des globalen Südens treffen, die von den Weizenimporten Russlands und der Ukraine abhängig sind und wenig Möglichkeiten haben, die fehlenden Lieferungen auszugleichen. Zu den Hauptimportländern von ukrainischem Getreide zählen insbesondere Länder des Nahen und Mittleren Ostens1. Außerdem sind Länder betroffen, die zwar nicht direkt importieren, aber mit den steigenden Marktpreisen konfrontiert werden. Es ist zu erwarten, dass viele Menschen die gestiegenen Preise nicht mehr bezahlen können. António Guterres, UN-Generalsekretär, warnte bereits davor, dass die Ausfälle bei der ukrainischen Ernte weltweite Hungersnöte verstärken können13,2.

Für Deutschland werden dagegen keine drastischen Einbußen bei der Versorgung mit Weizen erwartet. Der Selbstversorgungsgrad der Bundesrepublik liegt hier bei über 100%. Unsere Abhängigkeit von Importen aus dem Kriegsgebiet zeigt sich allerdings bei anderen Agrarprodukten: Körnermais gehört zu den wichtigsten Futtermitteln in Deutschland. Von den sieben Millionen Tonnen, die 2020 verbraucht wurden, waren weit über 50% importiert. Die Hälfte dieses Imports wiederum stammt aus der Ukraine. Doch während manche Importländer jetzt unter Umständen leer ausgehen, wird Deutschland seinen Futtermais aus anderen Regionen beziehen, zum Beispiel aus Süd- oder Nordamerika. Und das hat neben längeren Transportwegen, damit mehr Emissionen und höheren Verbraucherkosten auch einen weiteren Haken: im Gegensatz zur Ukraine exportiert Amerika vorwiegend gentechnisch veränderten Mais2.

Selbst wenn die Regale also vorerst voll bleiben, werden wir die Entwicklungen zu spüren bekommen - vor allem an der Supermarktkasse. Schon seit Anfang 2021 machen sich steigende Lebensmittelpreise bemerkbar, und diese Entwicklung wird weitergehen: über zwei Drittel der Lebensmittelhändler werden ihre Preise weiter erhöhen4. Während das für manche von uns vielleicht nur etwas unangenehm wird, kann es für viele Menschen existenzielle Auswirkungen haben, auch in Deutschland. Bis zu 1,65 Millionen Menschen suchen bereits bei den Tafeln Unterstützung für ihre Lebensmittelversorgung, Tendenz steigend. 30% davon sind Kinder und Jugendliche6. Versorgungssicherheit hängt also nicht nur an den tatsächlichen Produktions- und Importmengen, sondern ist auch bei uns inzwischen eine Frage des Zugangs und der Beteiligungsmöglichkeit.

Bedeuten die erhöhten Lebensmittelpreise zumindest faire Preise für die Produzenten? Die aktuell steigenden Produktionskosten treffen auf eine ohnehin angespannte Lage, in der Landwirt:innen neben dem generellen Preisdruck auch mit hohen Investitionen, steigenden Betriebskosten und nicht zuletzt den Auswirkungen der klimatischen Veränderungen kämpfen. Wieviel von den Mehreinnahmen des Handels letztendlich bei den Produzenten ankommt, steht auf einem anderen Blatt. In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil der Verbraucherausgaben, der den Landwirt:innen zugute kommt, kontinuierlich gesunken: 1970 waren es für Fleisch zum Beispiel noch 44%, 2020 lag der Wert mit 21% nicht mal mehr bei der Hälfte10. Wo bleibt der Rest?

Versorgungssicherheit - unterschiedliche Perspektiven zur Zielerreichung

Was tun, angesichts dieser Entwicklungen? Versorgungssicherheit, da ist man sich weitgehend einig, muss weiterhin Priorität haben. Aber wie wir die erreichen, wird unterschiedlich diskutiert.

Bauernverband und FDP setzten sich schon kurz nach Kriegsbeginn dafür ein, die Maßnahmen des europäischen Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie auszusetzen, um die Ernährungssicherung, etwa durch den geplanten verringerten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, nicht zusätzlich zu gefährden7.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat dagegen auch weiterhin die Auswirkungen des aktuellen Agrar- und Ernährungssystems auf das Klima und die Umwelt im Blick und warnt davor, die Situation nicht „für agrarpolitische Eigeninteressen zu missbrauchen“3. Als Stellschrauben sieht er u.a. die Reduktion der Tierbestände und eine Abkehr vom Billigfleisch-System, um die Abhängigkeit von Futtermittelimporten zu reduzieren und ein sicheres Einkommen für Tierhalter zu gewährleisten. An dem Ziel, 30% Ökolandbau bis 2030 auf EU-Ebene zu etablieren, hält er weiterhin fest. Außerdem soll die bestehende Eiweißpflanzen-Strategie zum Anbau von regionalen, gentechnik-freien Futtermitteln ausgebaut werden3, 12.

Allerdings soll es dieses Jahr zwei Ausnahmeregelungen geben:

  • die ökologischen Vorrangflächen der Kategorien „Brache“ und „Zwischenfrüchte“ werden 2022 als Futtermittel freigegeben, um die Situation zu entschärfen. Der Bewuchs dieser 1 Million Hektar Fläche darf normalerweise nicht genutzt werden, sondern wird zur Bodenverbesserung untergepflügt.
  • eine Zertifizierung zum Öko-Landbau sieht grundsätzlich vor, dass Tiere mit 100% ökologisch erzeugtem Futter ernährt werden. Auch hier setzt sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgrund der aktuellen Situation für Ausnahmen ein12.

Auf einer Sondersitzung der G7-Agrarminister:innen verständigte man sich unter anderem darauf, die Agrarmärkte offen zu halten, künstlich überhöhte Preise nicht zu dulden, und „gegen jedes spekulative Verhalten, das die Ernährungssicherheit gefährdet, vorzugehen“ 14.

Welchen Weg die Politik auf Bundesebene dabei weiter einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Aber auch auf kommunaler Ebene können wir etwas bewegen.

Auch München kann handeln: Die Ansätze des Münchner Ernährungsrats

Versorgungssicherheit ja, unbedingt - die Frage ist nur, zu welchem Preis und wie nachhaltig sie gewährleistet wird. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die Klima- UND Krisensicher ist. Und das ist möglich, denn viele Stellschrauben zum Klima- und Umweltschutz wirken gleichzeitig auf die jeweilige nationale Ernährungssouveränität, die über eine kurzfristige Versorgungssicherheit hinausgeht. Darum setzt sich der Münchner Ernährungsrat e.V. auch weiterhin für folgende Maßnahmen ein:

  • Regionale Wertschöpfungsketten reaktivieren

Es ist möglich, einen deutlich größeren Teil unserer Grundnahrungsmittel auf regionaler Ebene zu produzieren und regionale Wertschöpfungsketten wiederzubeleben. Für eine Re-Lokalisierung der Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung brauchen wir die entsprechenden Strukturen entlang der einzelnen Schritte innerhalb der Wertschöpfungskette: vom Anbau über die Weiterverarbeitung bis zu Logistik und Vertrieb. Momentan hat der Großteil der konsumierten Lebensmittel weite Strecken hinter sich - das muss nicht sein. Und es tut sich schon einiges: Ansätze wie der Einsatz eines Bio-Regio-Managements, das Konzept der Ökomodellregionen oder die Kreislaufwirtschaft machen es vor.

  • Kreislaufwirtschaft fördern

Futter vom Hof statt aus Brasilien: Die Kreislaufwirtschaft arbeitet mit möglichst geschlossenen Nährstoffkreisläufen. Betriebe mit Verbands-Zertifizierung wie Bioland, Naturland oder Demeter beziehen beispielsweise mindestens die Hälfte des Tierfutters vom eigenen Betrieb, teilweise sogar bis zu 100%. Das macht sie unabhängiger, sowohl von Ausfällen im Import als auch von explodierenden Futterpreisen. Und nebenbei spart es nicht nur lange Transportwege, sondern auch Ressourcen beim Anbau - denn die Produktion von Gras ist wesentlich genügsamer als der aufwendige und wasserintensive Anbau von Maispflanzen5.

  • Biologische Landwirtschaft ausweiten

Die biologische Landwirtschaft kommt ohne chemisch-synthetische Stickstoffdünger aus und ist daher unabhängig von entsprechenden Exportstopps, Lieferengpässen oder Preiserhöhungen. Der Münchner Ernährungsrat unterstützt den Ausbau von ökologisch bewirtschafteten Flächen im städtischen Wirkungsbereich und die Verbreitung von bio-regionalen Produkten beispielsweise in der Außer-Haus-Verpflegung.

  • Getreide auf den Teller statt in Trog oder Tonne

Fast die Hälfte der globalen Getreideproduktion wird zu Tierfutter verarbeitet3. Brauchen wir das wirklich? Bei einem Fleischkonsum von 57 kg pro Kopf in Deutschland (2020) und einer Verzehrempfehlung der Verbraucherzentrale von unter 31 kg wäre hier noch Luft nach unten, wenn es nach unserer Gesundheit geht - und damit auch Platz für den Anbau von Nahrungs- statt Futtermitteln8,9.

Noch mehr Platz wäre frei, wenn es mehr Lebensmittel auch bis auf unsere Teller schaffen würden: Mit etwa 6 Millionen Tonnen vermeidbarer Lebensmittelabfälle in Deutschland haben wir auch hier noch einigen Spielraum11.

  • Urban Gardening ermöglichen

Steigende Lebensmittelpreise lassen sich nicht wegdiskutieren - aber ein bisschen ausgleichen. Deswegen setzen wir uns auch zukünftig für eine Ausweitung von Urban Gardening-Projekten und die Nutzung von öffentlichen Plätzen für den Anbau von Lebensmitteln ein. Im Schulgarten, im öffentlichen Grün oder auf bisher versiegelten Flächen - (fast) überall kann Garten sein. Und das Potenzial können wir nutzen - für mehr gutes Essen für Alle !

 

 Quellen & weitere Informationen:

  1. www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/agrarpreise-ukraine-krieg-101.html Aufgerufen am 13. März 2022
  2. www.zeit.de/wirtschaft/2022-03/ukraine-russland-krieg-getreide-landwirtschaft-auswirkungen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fduckduckgo.com%2F Aufgerufen am 13. März 2022
  3. www.topagrar.com/management-und-politik/news/landwirtschaftsminister-cem-oezdemir-jetzt-nicht-die-alten-sprechzettel-herausholen-12907477.html?utm_campaign=hallo&utm_source=topagrar&utm_medium=browser&utm_content=monatspass&track=subscription&upgrade=true Aufgerufen am 13. März 2022
  4. www.sueddeutsche.de/bayern/erzeugerpreise-lebensmittelpreise-landwirtschaft-duenger-1.5542732 Aufgerufen am 13. März 2022
  5. www.bioland.de/bioland-blog/ein-kreislauf-fuers-klima?fbclid=IwAR2UFa-mNHgeCHyGssRRFUjRt7GeFBu9QXN2n4vmuxAlJ2hYvv5ymQ0RKHk Aufgerufen am 13. März 2022
  6. Tafel Deutschland: Hintergrundinformationen: www.tafel.de/fileadmin/media/Presse/Hintergrundinformationen/2022-02-15_Zahlen_und_Fakten.pdf
  7. www.topagrar.com/management-und-politik/news/bauernverband-fordert-agrarpolitik-wegen-ukraine-krieg-zu-ueberdenken-12863491.html?utm_source=Maileon&utm_medium=email&utm_campaign=2022-02-28+top+agrar+NEWS+Montag&utm_content=https%3A%2F%2Fwww.topagrar.com%2Fmanagement-und-politik%2Fnews%2Fbauernverband-fordert-agrarpolitik-wegen-ukraine-krieg-zu-ueberdenken-12863491.html Aufgerufen am 13. März 2022
  8. Bundesministerium für Ernährung & Landwirtschaft: Versorgung mit Fleisch & Geflügelfleisch: www.bmel-statistik.de/ernaehrung-fischerei/versorgungsbilanzen/fleisch/
  9. www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/lebensmittelproduktion/wie-viel-fleisch-ist-das-richtige-mass-5535 Aufgerufen am 13. März 2022
  10. www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/haetten-sies-gewusst/infografiken Aufgerufen am 13. März 2022
  11. Lebensmittelabfälle in Deutschland – Baseline 2015 – Kurzfassung Thünen Report 71, 2019 www.zugutfuerdietonne.de/service/publikationen/studien
  12. Bundesministerium für Ernährung & Landwirtschaft, Pressemitteilung Nr. 28/2022 vom 11. März.2022: www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/28-ukraine-krieg-massnahmen-landwirtschaft.html
  13. www.welthungerhilfe.de/hunger/lebensmittelpreisanstieg-hunger/ Aufgerufen am 13.03.2022
  14. Bundesministerium für Ernährung & Landwirtschaft, Pressemitteilung Nr. 29/2022 vom 11. März.2022: www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/29-g7-sondertreffen.html?nn=358